Die Sache mit dem Lebenszyklus:
Im Grunde geht es „nur“ um einen sympathischen Mann, der vor sich hinlebt, arbeitet und irgendwelche Dinge tut. Also quasi wie die Macher des CsW-Blogs nur körperlich nicht ganz so attraktiv. Denn der Jünger-werden-Twist ändert natürlich nichts Grundlegendes am ewigen Kreislauf des Lebens: Mit 70 erste Gelegenheitsjobs, mit 69 der erste Sex und mit 65 die große Findungsphase. Mit 40 dann eine kleine Midlife-Crysis und mit 20 erste Anzeichen von fortgeschrittener Altersweisheit. Und WENN man sich an diese Prämisse erst mal gewöhnt hat und die obskursten Bilder des Filmes (Alter Mann beim Entdecken der ersten Schamhaare) erst mal vorüber gezogen sind, fällt es einem die Wahrheit wie Grauer Star von den verjüngten Augen:
In diesem Film geht es gar nicht um das dolle Jüngerwerden, er handelt vielmehr von Vergänglichkeit, Tod und diesem Dingsda… na, dieser Sache Namens Liebe halt.
Gut gefiel mir, dass Benjamin Button - wenn auch auf Kosten der Dramatik - in schlechten Zeiten niemals völlig verzweifelt ob seines schwierigen Schicksals als zukünftiger Beißringnutzer ist. Und andersherum spielt er sich auch nicht wie der König der Welt auf, nur weil der Testosteronspiegel stetig ansteigt und in 20 Jahren der erste Kinderausweis auf ihn wartet. Nein, Benj-Boy ist bedrückend normal. Ein paar schwächere Momente hätte ich von diesem edlen Recken aber schon ganz gerne gesehen. Vielleicht eine Szene, in der Benjamin eine steinerne Darwin-Büste im Museum verprügelt („Sag Du es mir doch! Waaarum?“)… Noch besser wären allerdings Irgendwelche Handlungen gewesen, bei denen er seinen biologischen Wettbewerbsvorteil schamlos (und später schamhaft) ausnutzt. Denn dieser Mann war ja schließlich auch mal jung… werden!
Grenzen der Filmromantik:
Aber natürlich geht es vor allem um die ähhh oben erwähnte Sache mit der Liebe. Oder halt um deren Abwesenheit. Die Filmromantik hält sich dabei jedoch in Grenzen. Das Leben ist in David Finchers neuestem Film kein bunter Schmetterling, der aus den andächtig gefalteten Händen des Regisseurs zu schlüpfen hat. Wie auch in der Realität sind auch hier die schönen Momente irgendwie grau. Das Licht erinnert an welkende Merkels im Herbstwind und auf dem Tisch liegt auch während des Orgasmus schon wieder der nächste Gebührenbescheid der GEZ bereit…
Aber recht hat sie ja, die Grundidee: Liebe ist (wenn man es falsch anpackt) wahrscheinlich nur das Warten darauf, das irgendwas noch mal besser wird. Dass der Partner sich ändert, reifer wird oder sich zumindest endlich für die Geheimnisse des Fellatio interessiert. Chancen verstreichen bei diesem Warten, potenzielle Beischlafmöglichkeiten müssen regelmäßig in ein hypothetisches Paralleluniversum verschoben werden und selbst die wirklich schönen Momente versuppen irgendwie, weil man bereits weiß, dass der aktuelle Partner einem nicht ewig genügen wird. Sei es, weil er - wie hier - wieder zum Kind wird oder sich die nervige Bierflaschensammlung des Verlobten in 15 Jahren die Kellertreppe heraufgearbeitet haben wird.
Liebe ist wie ein PC-Kauf:
Dieser Film sagt aber auch unterschwellig: „Scheiß drauf, greif zu! In einem Jahr ist Dein Traumpartner vielleicht tot, hat jemand anderen oder ist plötzlich Pornostar in Los Angeles! Liebe ist wie ein PC-Kauf! Egal, wie lange man sucht: 6 Monate später sagt man sich stets, dass man noch auf ein besseres Modell hätte warten sollen…“ - Die Alternative: Trotzdem jedes gemeinsame „Hochfahren“ genießen und selbst die etwas „fragmentierte“ Oberfläche der Herzensdame schätzen. Was sind schon Oberflächlichkeiten, wenn wir alle in ein paar Jahrzehnten als ganztätige Wurmbehausung dienen werden?
Weniger doof gleich mehr Sex:
Selbst hier hat es aber nicht so recht geklappt, denn die einzige Phase, in der die Figuren glücklich sind, ist in der Mitte ihres Lebens, als sie genau gleich alt sind… Das klingt nach einer tiefgründigen psychologischen Erkenntnis, spielt aber für die Gesamtaussage keine große Rolle: Theoretisch wäre die perfekte mentale Liebe (Baby- und Greisenkörper außen vorgelassen) in jeder Phase ihres Lebens möglich gewesen, denn geistig sind sie ja IMMER gleich alt. Man hätte sich halt einfach weniger blöde anstellen müssen. - Was ich mir auch gleich als Filmaussage hinter die Ohren schreiben werde: „Weniger doof gleich mehr Sex“
Die Niederungen der Produktionstechnik:
Doch zurück zu den Niederungen der Produktionstechnik… Die Schauspieler sind allesamt klasse. Ausnahmslos. Vor allem Brad Pitt beweist hier aber erneut, dass er alles wegspielen kann, was nicht bei Drei auf den Bäumen des Drehbuchwaldes ist. - Auch die Maskeneffekte sind grandios, überwältigend, ja sogar mutmachend, was den eigenen Gammelfaktor im Gesicht angeht: Sowohl Pitt als auch Blanchett (immerhin auch schon 40 Jahre alt) sehen als 20-Jährige so glaubhaft aus, dass man den Kinovorführer fast bitten möchte, die Schärfe noch ein bisschen nachzustellen, um den Masken- und Photoshopbildnern irgendeine menschliche Schwäche in die Schuhe schieben zu können.
Die Sache mit der Identifikation:
Die Sache mit den Gefühlen:
Doch seinen Sinn und Zweck hat dieser Streifen am Ende trotzdem erreicht: Nach dem Sehen überkam mich das starke Gefühl, dass jede Lebensminute so wertvoll ist, dass man sich stets überlegen sollte, was man damit anstellt. Und dass die wirklich wichtigen Dinge nicht ständig „für später“ aufgeschoben werden sollten. Spontan entschied ich mich daher mit beidseitig verheulten Glubschaugen, demnächst wieder längere und NOCH nerdigere Artikel für diese Webseite zu verfassen. Denn unsere Lebenszeit ist kostbar, verschwenden wir sie daher mit Bedacht und mit voller Absicht!
Wie er mir, so ich euch: Wie mein Review hat auch der Film einige erhebliche Längen, die ein wenig von der grandiosen Grundidee und der schönen Inszenierung aufzehren. Ein bisschen erinnert mich dieser Streifen aber auch an „Forrest Gump“: In kleineren Stückchen genossen (= jeden Tag ein Stündchen), ist auch diese Suche nach dem Sinn des Lebens eine Sache für absolute Filmfeinschmecker. - Schließlich isst man ja auch nicht 3 Eimer Kaviar am Tag.
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